Wassertransfer vom Kongo zum Tschad: das Transaqua-Projekt
Von Dr. Marcello Vichi,
ehemaliger Direktor der Bonifica (IRI Group)
Der Ingenieur Marcello Vichi berichtete auf der Rüsselsheimer
Konferenz des Schiller-Instituts am 2.-3. Juli über seinen dreißigjährigen
Einsatz für das Transaqua-Projekt. Zu Beginn seines Vortrages zeigte er einen
kurzen Film aus den achtziger Jahren, mit dem für das Transaqua-Projekt
geworben wurde.
Ich möchte Ihnen eine dreißig Jahre alte Geschichte erzählen, die seit
dreißig Jahren nicht vorankommt, trotz aller Initiativen, die zur
Verwirklichung unternommen wurden: Transaqua. Zunächst einmal sollte ich das
Thema präzisieren, damit Sie die Dimensionen des Problems kennen.
Transaqua, die Idee, Wasser aus dem Becken des Kongoflusses in das Becken
des Tschadsees hinüberzuleiten, entstand aus einem Vergleich dieser beiden
aneinandergrenzenden Einzugsgebiete und der jeweiligen Besonderheiten des
Wassers und Klimas. Das „Aneinandergrenzen“ ist dabei in den Dimensionen eines
Kontinents wie Afrika zu verstehen.
Auf beiden Seiten des Äquators, ungefähr zwischen 8° nördlicher Breite und
etwa 12° südlicher Breite, liegt das größte Flußbecken Afrikas, das weltweit
zweitgrößte nach dem Amazonas. Es ist ein beeindruckendes natürliches
Amphitheater mit 3.690.000 Quadratkilometern Fläche - das Zwölffache der Fläche
Italiens, mehr als das Zehnfache der Fläche Deutschlands und fast 90mal so groß
wie die Schweiz.
Dieses majestätische Einzugsbecken nimmt das gesamte Wasser der beiden
Hauptländer auf, die es umfaßt, also die beiden Kongo-Republiken, sowie Teile
des Wassers der angrenzenden Staaten, das sind die Zentralafrikanische
Republik, Kamerun, Angola, Sambia, Tansania, Burundi und Ruanda. Seine
geographische Lage beiderseits des Äquators und seine gewaltigen territorialen
Dimensionen bringen es mit sich, daß die Wasserführung des Kongo relativ wenig
jahreszeitlichen Schwankungen unterworfen ist. Die jährliche Wasserführung des
Kongo an seiner Mündung schwankt zwischen etwa 42.000 Mrd. m³ und etwa 60.000
Mrd. m³ Wasser, die in den Atlantischen Ozean abfließen.
Ende der siebziger Jahre entstand die Idee, einen angemessenen Teil dieser
Abermilliarden Kubikmeter in das Becken des Tschadsees umzuleiten. Schon damals
zeigte sich deutlich die alarmierende Tendenz, daß der Tschadsee stark unter
der in der gesamten Sahelzone herrschenden Dürre litt. In den Regenzeiten
erreichte er wegen der verringerten Wasserführung seiner Zuflüsse Tschari und
Logone nicht mehr die Dimensionen der vergangenen Jahre. Schon damals war klar,
welche Ursachen dazu beitrugen: abnehmende Niederschläge, ansteigende
Temperaturen und damit mehr Verdunstung, sowie der steigende Wasserverbrauch
der Bevölkerung in der Region.
Schließlich wurde deutlich, daß die Umleitung einer größeren Wassermenge vom
Kongo (den man damals Zaire nannte) zum Tschadsee die einzige Möglichkeit wäre,
dem drastischen Schrumpfen der Fläche des Sees - die sich Ende der siebziger
Jahre gegenüber dem vorherigen Jahrzehnt schon halbiert hatte -
entgegenzuwirken.
Um ehrlich zu sein, erschien das damals gar nicht als eine besonders
großartige Idee, sondern einfach als eine offensichtliche. Es ging nur darum,
der Natur ein wenig nachzuhelfen, da sie in ungefähr tausend Kilometern
Entfernung Bedingungen geschaffen hatte, die auf der einen Seite Millionen
Bauern und Hirten zwangen, ihre Lebensziele zurückzustecken, und auf der
anderen Seite eine der größten Verschwendungen von Süßwasser auf der Welt
zuließen.
Man brauchte für die „Idee“ nur noch eine vorläufige Machbarkeitsstudie, vor
allem in technischer Hinsicht: Ob es möglich wäre, mit einem künstlichen Kanal
einen Teil des Wassers der rechten Zuflüsse des Kongo aufzufangen, und dieses
Wasser durch diesen Kanal über die Wasserscheide zwischen Kongo und Tschad in
der Zentralafrikanischen Republik zu transportieren und in den Oberlauf eines
der beiden Hauptzuflüsse des Tschadsees - entweder des Bamingui-Tschari oder
des Logone - zu leiten.
Die vorläufige Untersuchung basierte auf den damals existierenden Landkarten
mit einem Maßstab von eins zu einer Million, die die US-Luftwaffe erstellt
hatte. Für junge Menschen heute mag das fast unglaublich klingen, aber damals
Ende der 70er Jahre war es nicht einfach, im Gebiet zwischen Äquator und Sahel
auch nur solche Vorstudien einigermaßen zuverlässig zu erstellen. Verläßliche
Karten und hydrologische Daten waren selten; mit den Satelliten hatte man
gerade erst angefangen, aber die waren militärisch, nicht zivil; es gab keine
Mobiltelefone zu kaufen, und die Funkgeräte, die man verwendete, hatten nur
eine begrenzte Reichweite; kein Mensch dachte damals schon an so etwas wie das
Internet.
Es erforderte sehr viel Entschlossenheit und große Begeisterung. Vor allem
brauchte es die feste, unzweifelhafte Überzeugung, daß Afrika niemals auf die
Beine kommen würde, solange eine solide Infrastruktur im kontinentalen Maßstab
fehlte, und daß diese nur durch drastische, entschlossene Eingriffe geschaffen
werden konnte, wenn die afrikanischen Nationen es verlangen und die westlichen
Länder es unterstützen.
Unsere Expertengruppe war fest davon überzeugt, daß man mit der Politik
vieler kleiner, willkürlicher Eingriffe keines der schwerwiegenden Probleme
Afrikas wirklich lösen könnte - damit könnten die Menschen nur gerade so ihr
Dasein fristen und Notlagen überstehen. Das ist zwar besser als nichts, aber um
den Kontinent zu entwickeln, mußte man „groß denken“ - ich nannte es
„Projekt-Megalomanie“, als Gegensatz zu Kurzsichtigkeit, Gleichgültigkeit und
Geiz, die schon immer die typische Reaktion auf große internationale
Infrastrukturpläne für Afrika gewesen sind.
Der vielfältige Nutzen des Projekts
Trotz großer praktischer und politischer Hindernisse konnten wir mit
Unterstützung der Firma Bonifica, des Italstat-Konzerns (der
Holdinggesellschaft des früheren Staatskonzerns IRI) und mit dem gehörigen
Enthusiasmus diese Untersuchung abschließen. Wir formulierten den Vorschlag
eines künstlichen Kanals, der in der Region Kivu (in ungefähr 2° südlicher
Breite) beginnen und die Kongo-Tschad-Wasserscheide (in ungefähr 8° nördlicher
Breite) etwa am Südende des Bamingui-Tschari-Beckens, dem wichtigsten Zufluß
des Tschadsees, erreichen würde.
Auf seinem etwa 2400 km langen Weg, der von Süd nach Nord dem Weg des
geringsten Gefälles folgt, würde dieser Kanal sämtliche rechten Nebenflüsse des
Kongo an deren Oberläufen kreuzen und so Wasser aus dem nordöstlichen Teil des
Kongobeckens in dessen Grenzgebiet zu Burundi, Ruanda, Uganda und Sudan
aufnehmen.
Der Plan war und ist, etwa 3000 m³ Trinkwasser pro Sekunde in den Tschadsee
zu leiten, was einer Wassermenge von etwa 100 Mrd. m³ pro Jahr entspricht.
Damit würde dem Kongo nur 6-8% seiner Wasserführung entzogen, aber gleichzeitig
entstünde ein großer Kanal mit der anderthalbfachen Wassermenge des Nils bei
Assuan.
Während des „Falls“ zum Tschadsee könnte diese Wassermasse rund 30 Mrd. kWh
Strom erzeugen (wenn man von einer Wassermenge von 100 Mrd. m³ ausgeht), davon
zwei Drittel in der Zentralafrikanischen Republik und ein Drittel im Tschad.
Wenn die früheren Dimensionen des Tschadsees wiederhergestellt sind
(20.000-25.000 km² Oberfläche), könnte man das dann verfügbare Wasser zur
Bewässerung von etwa 3 Mio. Hektar Land und zur Unterstützung der land- und
viehwirtschaftlichen Entwicklung eines riesigen Gebietes verwenden -
insbesondere im Tschad, aber auch in Nigeria und Kamerun sowie in der
Zentralafrikanischen Republik entlang des Bamingui. Man könnte dadurch
insgesamt etwa 50.000 km² Landfläche bebauen - ein Sechstel der Fläche
Italiens.
Zusätzlich zum Transport dieser beträchtlichen Wassermenge in den Tschad
könnte dieser Kanal eine weitere wichtige und keineswegs marginale Funktion
erfüllen: Er wäre ein Wasserweg für Fracht - und wir wissen, daß das die
bequemste Transportmethode ist. Etwa 800 km dieser 2400 km langen
„Wasserautobahn“ im Herzen Afrikas befänden sich in der Zentralafrikanischen
Republik, 1600 km auf dem Territorium des Kongo. Beiderseits dieser
Wasserstraße gäbe es Betriebswege für die Rodung der bewaldeten Gebiete und den
Kanalbau, und später nach der Fertigstellung für die Instandhaltung.
Entlang dieser Straßen könnte „stromaufwärts“, d.h. von Nord nach Süd, eine
Hochspannungsleitung geführt werden, u.a. gespeist aus den 30 Mrd. kWh Strom
jährlich, die entlang des „Gefälles“ des mit dem Kanal umgeleiteten Wassers zum
Tschadsee erzeugt werden. Diese Stromleitung könnte das gesamte Gebiet des
Kanals auf den 2400 km Länge versorgen. Außerdem gäbe es Landestellen an den
Kreuzungspunkten des Kanals mit den Nebenflüssen des Kongo. Die Nutzfläche für
Ackerbau und Viehzucht, die von einem solchen Infrastrukturprojekt profitierte,
umfaßt schätzungsweise 100.000 km², und der allgemeine soziale und
wirtschaftliche Einflußbereich könnte eine Fläche größer als Deutschland
einschließen. In einem riesigen geographischen Gebiet, mit der Kivu-Region und
dem Oberen Kongo in der Demokratischen Republik Kongo sowie den Regionen am
Oberen Mbomo und Oberen Kotto in der Zentralafrikanischen Republik, herrschte
und herrscht heute noch ein dramatischer Mangel an der elementarsten und
grundlegendsten Infrastruktur, insbesondere Fernstraßen, die diesen Namen
verdienen.
Am Nordende des Kanals, auf dem Territorium der Zentralafrikanischen
Republik, nahe der Kongo-Tschad-Wasserscheide auf der Höhe des Oberlaufs des
Bamingui, ist ein großer künstlicher See geplant, in dem das Wasser aus dem
Kanal gesammelt werden soll, um es für das erste Wasserkraftwerk des Systems zu
nutzen, bevor es nach Norden zum Tschadsee fließt. An den Ufern dieses
künstlichen Sees entstünde ein sogenanntes „Interafrikanisches polyfunktionales
Handelsgebiet“ (ASPI) in einer Region, die von einem Ost-West-Straßen-Korridor,
der die beiden Seehäfen Mombasa und Lagos miteinander verbindet, gekreuzt wird.
Diese Straße existierte damals zum Teil schon, sie mußte nur fertiggestellt und
an die wesentlichen Anforderungen einer „transkontinentalen Autobahn“ vom
Atlantischen bis zum Indischen Ozean angepaßt werden.
Dieses ASPI kann durch eine einfache Straßenverbindung mit dem Binnenhafen
Bangui und über diesen Hafen per Fluß mit Brazzaville und Kinshasa verbunden
werden. Es könnte ein wichtiges Industriegebiet werden, spezialisiert auf den
Agrar- und Lebensmittelsektor, wo die Produkte aus der Land- und Viehwirtschaft
in den neu aufgewerteten Agrarregionen des Kongo und Zentralafrikas sowie aus
der erweiterten und modernisierten Bergbauregion am Oberen Kotto verarbeitet
werden. Das ASPI läge im Zentrum des Wasser- und Straßennetzes und wäre damit
der erste große Binnenhafen in strategischer Lage auf dem afrikanischen
Kontinent, der auch für den Containerumschlag ausgerüstet wäre. Es wäre ein
Industrie- und Verarbeitungszentrum und ein großes Handelszentrum für den
Import von Produktionsanlagen und die Verteilung afrikanischer
agro-industrieller Produkte in andere afrikanische Länder, zu den Seehäfen
Lagos und Mombasa sowie durch den Ausbau der Trans-Sahara-Fernstraße
Lagos-Algier und die in neuerer Zeit geplante „Wüstenstraße“ N’Djamena-Tripolis
auch zu den Mittelmeerhäfen Algier und Tripolis.
Dieses große Wasser- und Straßenverkehrsnetz ist nicht nur aus dem
offensichtlichen Grund der allgemeinen Entwicklung notwendig, sondern speziell
auch für die Vermarktung afrikanischer Produkte und ihren Export auf
ausländische Märkte. Man geht davon aus, daß die landwirtschaftlichen
Nutzflächen - wie schon gesagt, können vor allem in der trockenen Sahelzone bis
zu 3 Mio.ha kultiviert werden - im günstigsten Fall eine Landwirtschaft wie am
Nil zulassen, wo bis zu drei Ernten im Jahr möglich sind. (Die etwa 80
Millionen Ägypter leben auf nur etwas mehr als 3,5 Mio.ha Land).
Die land- und viehwirtschaftliche Erzeugung, die aufgrund dieser riesigen
Bewässerungsmaßnahmen möglich würde, wäre so reichlich, daß es unsinnig wäre,
nur für die örtliche Bevölkerung und nicht auch für den Export auf andere
Märkte zu produzieren. Nimmt man noch die zu erwartende agro-industrielle
Produktion aus der ASPI hinzu, so wäre es unsinnig, alle diese land- und
viehwirtschaftlichen und agroindustriellen Produkte herzustellen, ohne ein
effizientes Verkehrsnetz für ihre Vermarktung im übrigen Afrika und außerhalb
Afrikas zu schaffen. Die Schaffung und Optimierung dieses Netzes sollte mit dem
Bau des Kanals Hand in Hand gehen.
Vorstöße zur Verwirklichung
Das ganze nannten wir „Transaqua - eine Idee für den Sahel“. Dieser einfache
Name enthält eine Synthese der beiden grundlegenden Elemente: Rettung des
Tschadsees durch einen großangelegten Wassertransfer, und ein internationales
Wasser- und Straßenverkehrsnetz.
Zwischen 1982 und 1985 wurden drei Dokumente in drei Sprachen veröffentlicht
und an alle von dieser „Idee“ unmittelbar berührten afrikanischen Länder
verteilt. Diese unter der Schirmherrschaft von Bonifica, IRI und Italstat
vorgelegten technischen Werbeschriften wurden auch den internationalen
Beratergremien zugesandt. Insbesondere italienische Entwicklungshilfeprogramme
wurden kontaktiert und gebeten, die Verifizierung der Idee durch die
Finanzierung einer ersten Machbarkeits-Vorstudie zu unterstützen.
Es gab noch weitere Initiativen, um Aufmerksamkeit für die Idee zu schaffen.
Eine war die Unterstützung des Projekts durch Dr. Bukar Shaib - wenn ich mich
richtig erinnere, war er 1988 Präsident der Tschadsee-Kommission -, der im
italienischen Fernsehen erklärte, Transaqua sei „das einzige Projekt, das den
Tschadsee retten kann“. Es gab ein Angebot an das japanische Unternehmen Nippon
Koei, bei der Entwicklung des Projektes zusammenzuarbeiten, und IRI selbst
versuchte zur Zeit der „2. Weltkonferenz für Entwicklung“, die 1992 in Rio de
Janeiro stattfand, erneutes Interesse an Transaqua zu wecken. Trotz dieser
Bemühungen und weiterer Initiativen der damals größten Unternehmensgruppe
Italiens gab es keine nennenswerten Reaktionen. Tatsächlich herrschte eher
Skepsis und Gleichgültigkeit als Widerstand, aus der tief verwurzelten,
allgemeinen Überzeugung heraus, die „Idee“ sei einfach überdimensioniert, zu
ehrgeizig, zu teuer und daher inakzeptabel.
Eine Kostenschätzung für Transaqua - eine ziemlich willkürliche, da sie sich
nicht auf eine Machbarkeitsstudie stützte - ergab damals eine Investition
zwischen 30 und 40 Mrd. Dollar, worin die zahlreichen unvermeidlichen Skeptiker
eine übergroße, nicht hinnehmbare Belastung sahen.
Seit 30 Jahren haben sich diese Reaktionen auf die „Idee“ nicht geändert.
Was die größte Baustelle der Welt geworden wäre - falls eine Machbarkeitsstudie
zu einem positiven Ergebnis gelangt wäre -, mit Abermillionen Arbeitstagen und
ganzen Generationen von afrikanischen Arbeitern und Angestellten, Technikern
und Managern, und mit wirtschaftlichen Anstößen für ein Drittel des
afrikanischen Kontinents, kam nie über den Status der bloßen „Idee“ hinaus.
Nicht einmal eine Vorstudie wurde durchgeführt.
Die politischen Ereignisse 1993 in Italien überrollten Bonifica, Italstat
und IRI, innerhalb weniger Monate verschwanden sie von der wirtschaftlichen
Szene Italiens. Und die Idee - blieb eine Idee!
Ich habe die Skepsis, die jeden möglichen Fortschritt in Bezug auf Transaqua
blockierte, niemals akzeptiert. 2001 warb ich weiter für die „Idee“ und
versuchte, die libyschen Behörden dafür zu interessieren. Diese bauten damals
die größte unterirdische Wasserleitung der Welt, die täglich 6 Mio. m³ Wasser
aus den fossilen Grundwasservorkommen des Landes in der Sahara in die
Küstenregionen bringen sollte - den sogenannten „Großen menschengemachten Fluß“
(GMR), den die Weltpresse das „achte Weltwunder“ nannte.
Die Entnahme des Wassers aus den nicht erneuerbaren fossilen
Grundwasserschichten löste aber in den Nachbarländern Besorgnis aus. Speziell
fürchtete man, ein intensives Abpumpen von Wasser aus den Kufra-, Tazirbu- und
Sarir-Becken, die sich vom Tschad bis Ägypten und Sudan erstrecken, könnte die
Wasserführung in den Grundwasserschichten in Ägypten und im Sudan
beeinträchtigen. Darüber hinaus waren sich die Hydrologen nicht einig, wie groß
die Grundwasservorkommen sind und wie lange sie reichen würden, was
entscheidend dafür ist, wieviel Wasser Libyen tatsächlich künftig entnehmen
könnte. Einige sprachen von 50 bis 100 Jahren, andere vermuteten, es wäre weit
weniger. Tatsächlich sahen die libyschen Pläne neben der Wasserversorgung der
Bevölkerung und der Industrie auch eine umfassende Bewässerung vor. Es wäre von
großem Nutzen für die Bevölkerung, die in den Küstengebieten konzentriert ist,
wo man wegen der allmählichen Versalzung auf Dauer kein Grundwasser mehr
entnehmen kann.
Es war die Rede davon, zunächst 150.000 Hektar Land zusätzlich zu bewässern,
wodurch Libyen Selbstversorger mit Nahrungsmitteln werden könnte. Aber mit
einer Absenkung des Grundwassers bestand auch das Risiko einer Verschlechterung
bei seinem Salzgehalt.
Mit Hilfe einiger Freunde mit guten Kontakten zur libyschen Regierung wurde
ein Plan entworfen, wie man, ausgehend von der Annahme, daß der Tschadsee
künftig wieder aufgefüllt wäre, das Kufra-Grundwasserlager wieder auffüllen
könnte. Diese Erweiterung der Transaqua-Idee erhielt den Namen „Interafrika“,
und der libyschen Regierung wurde eine technische Werbeschrift in englischer
und arabischer Sprache übergeben. Ein gesteigertes Interesse an Transaqua von
Gaddafis Seite wäre sehr nützlich gewesen, angesichts der Effizienz und
Entschlossenheit, die er bei der sehr schnellen Umsetzung des grandiosen
GMR-Projektes gezeigt hatte: Es wurde Ende der achtziger Jahre konzipiert, die
erste und zweite Stufe begann schon 1991, und die Fertigstellung wurde für 2007
erwartet.
Gaddafi sollte bewegt werden, zusammen mit den an Transaqua interessierten
afrikanischen Ländern die Bildung einer Geldgebergruppe zu fördern, die das
Transaqua-Interafrika-Projekt aufgreift. Das wäre eine Gelegenheit, auf
kontinentaler Ebene für das Projekt zu intervenieren, indem man Konsortien
europäischer und afrikanischer Unternehmen für die Durchführung der Bauarbeiten
und den späteren Betrieb bildet.
Außerdem war Libyen nicht nur ein Partner mit besonders reichlichen
finanziellen Mitteln und mit einem besonderen Interesse an dem Problem des
Wassers in der Sahara, es hatte auch Beobachterstatus in der
Tschadsee-Kommission, der es einige Jahre später als Vollmitglied beitrat.
Einige Jahre später machte die afrikanische Organisation NEPAD, die „Neue
Partnerschaft für die Entwicklung Afrikas“, ein Angebot für eine Partnerschaft
bei der Projektleitung und -verwaltung. Während des G8-Gipfels in Genua schlug
sie vor, daß westliche Unternehmen und Finanzinstitute in einer „strategischen
Vision für die Wiedergeburt Afrikas“ als Partner beim Bau großer, kontinentaler
Verkehrsinfrastruktur und der optimalen Nutzung des Wassers agieren
sollten.
Aber auch die libysche Initiative faßte nicht Fuß.
Das falsche Argument „zu teuer“
Seit 30 Jahren frage ich mich, warum nicht ein einziger Dollar ausgegeben
wurde, um die Machbarkeit von Transaqua zu prüfen. Noch heute gilt es als eine
phantastische und überdimensionierte Idee, und vor allem so teuer, daß der Plan
es nicht einmal wert ist, die Machbarkeit zu prüfen. Es wurde und wird
bedenkenlos mit Meinungen und finanziellen Schätzungen um sich geworfen, so als
ginge es darum, die Rentabilität eines Bewässerungsprojektes von 1000 Hektar zu
berechnen. Niemand denkt daran, daß der Transaqua-Vorschlag den enorm großen
Dimensionen der ungelösten Probleme des afrikanischen Kontinents
entspricht.
Die verschiedenen internationalen Experten, die sich ereifern und das
Transaqua-Projekt in finanzieller Hinsicht kritisieren, haben nie daran
gedacht, den wichtigsten Aspekt des Projektes zu prüfen - nämlich seine
technische Durchführbarkeit. So kritisieren sie die Kosten von etwas, was gar
nicht existiert, während wir seit 30 Jahren eine erste technische Vorstudie
fordern, die überhaupt die physischen Voraussetzungen des Projektes - die
Höhen, den geographischen Verlauf, das Gefälle, die Dimensionen etc. -
feststellt.
„Es kostet zuviel!“ Als gäbe es Projekte, die „zuviel kosten“, und solche,
die „wenig kosten“, und nicht einfach Projekte, die durchführbar und praktisch
sind, und solche, die undurchführbar und unpraktisch sind.
„Phantasterei, zu teuer!“ Eine Studie im Auftrag von drei internationalen
Organisationen - Oxfam, Saferworld und International Action Network -, die
kürzlich in einem internationalen Bericht erschien, hat ergeben, daß in den
letzten 15 Jahren in 23 der mehr als 50 Staaten Afrikas insgesamt 284
Milliarden Dollar für Konflikte ausgegeben wurden. In dieser Zahl, 284 Mrd.$,
sind nur die Zerstörungen sowie die Kosten der Versorgung der Verwundeten und
der Flüchtlinge gerechnet. Es gibt weitere Kosten, die nicht darin enthalten
sind - der Verwaltungsaufwand für die Flüchtlinge, die Behinderung des Handels
und die politische Instabilität. Es gab also in den von der Studie erfaßten 15
Jahren in diesen 23 afrikanischen Staaten etwa 300 Mrd.$ an „direkten Kosten“:
Das sind 20 Mrd. $ jährlich zwischen 1990 und 2005. Und diese Studie
berücksichtigt nicht die „Kollateralschäden“ der Konflikte wie die Verdoppelung
der Kindersterblichkeit, Zunahme von Unterernährung, Sinken der
Lebenserwartung, deutliche Zunahme der Analphabetenrate unter den Erwachsenen
etc. Alle diese Elemente sind real, keine bloße Theorie, und sie lassen sich
auch in Dollars messen, wenn die Sozioökonomen, die sie untersuchen, ein
entsprechendes kulturelles Niveau und professionelle Fähigkeiten haben. Man
kann sicher sein, daß diese Kosten seit 2005 weiter gestiegen sind.
Ich möchte an dieser Stelle eine einfache Hypothese aufstellen. Stellen wir
uns vor, daß in den achtziger Jahre alle Aspekte von Transaqua untersucht
worden wären - Geopolitik, Geographie, Hydraulik, Klima, die sozialen und
wirtschaftlichen Aspekte etc. - und daß man das Projekt für durchführbar
befunden hätte. Stellen wir uns weiter vor, daß man es nach dieser Feststellung
geschafft hätte, 10% der Kosten der Konflikte, also „nur“ 2 Mrd.$ pro Jahr, in
dieses Projekt umzuleiten. Dann hätten wir heute, nach 20 Jahren, eine Kette
riesiger pulsierender Baustellen auf interafrikanischer Ebene.
Trotz allem glaube ich, daß das beharrliche Werben für Transaqua doch eine
Wirkung hatte: das Konzept des „Wassertransfers“ aus dem Kongobecken in das
Tschadbecken wird aufgegriffen. Das zeigt die derzeitige Studie über das
„Projekt für den Wassertransfer vom Oubangui zum Tschadsee“. Es ist ein andere
Behandlung derselben Frage, aber der Ansatz ist der gleiche. Wir können nur
hoffen, daß das derzeit laufende Projekt wenigstens ausreicht, um den Trend zum
Austrocknen des Sees aufzuhalten - wenn dieser Trend gestoppt wird, wäre das
auf jeden Fall schon sehr positiv. Deshalb glaube ich, daß das
Oubangui-Tschad-Projekt nicht im Widerspruch zu Transaqua steht, sondern daß
sie einander höchstwahrscheinlich ergänzen. Aber noch einmal: Notwendig wäre
eine Machbarkeitsstudie für Transaqua, doch die europäischen
Entwicklungshilfeprogramme werden das wahrscheinlich nicht finanzieren.
30 verlorene Jahre
Meiner Ansicht nach ist die Realität die, daß Europa 30 kostbare Jahre
verloren hat, die nur schwer wieder aufzuholen sein werden, weil Europa heute
nicht mehr die Einstellung, die Glaubwürdigkeit und die finanziellen Mittel
hat, die es noch vor wenigen Jahrzehnten hatte. Es scheint, daß Europa in ein
„kommendes finsteres Mittelalter“ herabsinkt, um den Titel eines Buches meines
Freundes Roberto Vacca aufzugreifen.
Zum Glück scheinen jedoch bestimmte afrikanische Länder ein neues Niveau an
Glaubwürdigkeit zu erreichen. Sechs der höchsten Wachstumsraten im letzten
Jahrzehnt wurden in afrikanischen Ländern erreicht, deren BIP im Durchschnitt
zwischen 7% und 10% jährlich wuchs. Ich habe eines dieser Länder, Mosambik,
besucht, und dort eine enthusiastische und motivierte Jugend vorgefunden, die
sich zunehmend an der Realisierung öffentlicher Arbeiten und privater
Initiativen im ganzen Land beteiligt.
Diese Generation junger Experten, neuer Unternehmer, mutiger und
aufstrebender Intellektueller ist es, auf die Afrika meiner Meinung nach setzen
muß, um operationelle „Glaubwürdigkeit“ zu bieten und finanzielles Vertrauen
internationaler Organisation zu gewinnen, damit man gemeinsam große
Infrastrukturprojekte verwirklichen kann. Das internationale Kapital könnte
sich durchaus dafür entscheiden, in junge Volkswirtschaften zu investieren, die
aktiv sind und sich entwickeln, statt in ein Europa, das alt wird, sich im
Niedergang befindet und dem jede kreative Kraft fehlt.
Anmerkung
1. Stop the Club of Rome Genocide in Africa: A Critique of the Lagos
Plan, von Lyndon H. LaRouche, Jr., 1980 MS, EIR - eine Kritik am
„Lagos-Aktionsplan: 'Terra-Forming' the Sahara and Nile” (April
28-29, 1980) der Organization Afrikanischer Einheit.