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Februar 2004 | Biographisches |
Wie ein dänischer Marquis de Posa
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"Unser toter Freund soll leben!
Alle Freunde, stimmet ein! Und sein Geist soll uns umschweben Hier in Hellas' Himmelhain. Tutissimi. Jede Hand emporgehoben!
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Nach der Totenfeier schrieb Baggesen einen Brief an Reinhold, in dem er Schillers Tod beklagte, und ihm über die Feiern berichtete. Entsetzt schrieb Reinhold zurück, Schiller sei nicht tot, aber sehr krank und voller Sorgen. Keine Medizin habe seinen Zustand verbessern können. Einziger Trost und Aufmunterung sei es ihm gewesen, als er aus Baggesens Brief von der Totenfeier erfuhr. Es habe Schiller sehr bewegt und begeistert, den Kampf fortzusetzen, als er hörte, daß in der Ferne bekannte Persönlichkeiten seine Ideen so hoch schätzten. Leider, fügte Reinhold hinzu, sei Schillers Lage noch immer erbärmlich und hoffnungslos.
Endlich nahm nun ein Plan Gestalt an, den Baggesen und der Prinz schon seit einiger Zeit gehegt hatten. Schiller mußte gerettet werden. Wenn keiner seiner eigenen Landsleute dazu bereit war, so mußten Weltbürger aus entfernteren Landen in die Bresche springen. Dieser Leitstern der Menschheit durfte nicht untergehen. Friedrich Christian dachte sogar noch weiter: Wenn Schillers Landsleute seinen Geist nicht schätzten, warum sollte er dann bleiben? Warum sollte er nicht nach Dänemark gehen? Dann könnte er, Friedrich Christian, sich persönlich darum kümmern, daß Schiller wieder genesen würde.
Und wenn es Schiller dann wieder besser ginge und er Bürger Kopenhagens und Dänemark wäre, könnte er dann nicht alles erreichen? Herz und Geist des Prinzen fühlten die enorme Kraft der Schillerschen Ideen. Was, wenn Schiller persönlich zum intellektuellen Mittelpunkt Kopenhagens würde? Könnte es einen besseren Weg geben, die absolute Monarchie Dänemarks in eine Reflexion der höheren Prinzipien zu transformieren, wie sie in der amerikanischen Verfassung verankert sind?
Daß Friedrich Christian hoffte, Schiller nach Kopenhagen zu holen, geht aus einem Brief hervor, den er im Dezember 1791 an seine Schwester schrieb, nachdem er und Schimmelmann Schiller das Angebot, ihn zu unterstützen, unterbreitet hatten: "Ich werde Dir Schillers Gedicht [Die Künstler] abschreiben lassen... Heute über acht Tage erwarte ich Antwort von ihm auf die an ihn ergangene Einladung, nach Dänemark zu kommen und hier seine Gesundheit in einer ungestörten Ruhe zu pflegen."6
Doch so sehr der Prinz auch wünschte, Schiller möge nach Dänemark kommen, zu seinem eigenen und seines Landes Nutzen, machte er dies nicht zu einer Vorbedingung für Schillers Rettung: "Doch wir sind nicht so kleineigennützig, diese Veränderung Ihres Aufenthalts zu einer Bedingung zu machen. Wir überlassen dies Ihrer eigenen freien Wahl. Der Menschheit wünschen wir einen ihrer Lehrer zu erhalten, und diesem Wunsche muß jede andre Betrachtung nachstehen", schrieb er an Schiller.
Augustenburg ist entschlossen, aber er ist trotz seiner hohen Stellung reicher an Geist als an Gold. Normalerweise würde ein wichtiger Mann, der Unterstützung brauchte, diese vom dänischen Staat erhalten, was bedeutet hätte, daß Friedrich Christian zum Kronprinzen hätte gehen und ihm darlegen müssen, warum dies wichtig und notwendig sei. Das war in diesem Fall jedoch ausgeschlossen. Denn zum einen war Schiller kein Däne. Zum anderen galt er als höchstgefährlicher Revolutionär. (Aus diesem Grunde durfte Maria Stuart als erstes der Schillerschen Dramen erst 1817 in einem dänischen Theater erstmals aufgeführt werden. Die Räuber wurden 1823 erstmals aufgeführt und Don Carlos 1831.) Nach den Entwicklungen in Frankreich seit 1789 galten Revolutionäre wie Schiller einem absolutistischen König wie dem dänischen als tödliche Bedrohung.
Friedrich Christian arbeitete hart als Diener des dänischen Staates, verfügte aber über kein eigenes Vermögen. Er und seine Frau, die Prinzessin Louisa Augusta, mußten mit deren Bruder, dem Kronprinzen den königlichen Palast Christiansburg teilen, der Kronprinz bezahlte Louisas Bedienstete. Friedrich Christian konnte mit seinem Einkommen Schiller nicht allein unterhalten. Er und Baggesen mußten andere für ihren Plan gewinnen. Die eine Person, die ihnen finanziell und moralisch geeignet erschien, an dem Projekt mitzuarbeiten, war ihr guter Freund Graf Heinrich Ernst Schimmelmann. Obwohl Graf und Finanzminister, war Schimmelmann ein gebildeter Humanist, Philantrop und Förderer des Gemeinwohls. Bei der Abschaffung der Leibeigenschaft der dänischen Bauern und später bei der Abschaffung des dänischen Sklavenhandels spielte er eine Schlüsselrolle (und das, obwohl er selbst der größte Sklavenhalter auf den dänisch-westindischen Inseln war, ein unseliges Erbe seines Vaters). Aber Schimmelmann war auch ein loyaler Diener des Kronprinzen Friedrich und fürchtete deshalb, etwas zu unternehmen, das ihn als Revolutionär erscheinen ließe. Könnten sie Schimmelmann für ihr Vorhaben gewinnen?
Augustenburg schrieb an Baggesen: "Nach reiflicher Überlegung finde ich, daß es am besten sei, wenn Sie, lieber Baggesen, Schillers Fürsprecher im Schimmelmannschen Haus sein wollen. ...Schillern müßte ein solches Einkommen versichert werden, daß er nur einer mäßigen Arbeit täglich bedürfte, um sein völliges Auskommen zu haben. Ich sehe die Möglichkeit nicht ein, ihm gleich anfangs eine öffentliche Bedienung zu geben, der Staat kann also zu jener Absicht gar nichts beitragen; was geschähe, müßte von Privatpersonen geschehen. Will Schimmelmann für eine gewisse Reihe von Jahren jährlich etwas dazu beitragen? Dies die Frage, deren Antwort ich von Ihnen zu erhalten wünschte."7
Baggesen arbeitete hart daran, Schimmelmann zu gewinnen, beklagte sich aber am 11. November 1791 in einem Brief an Friedrich Christian, wie unmöglich ihm die Aufgabe erscheine. Er hatte bereits mehr als 20mal auf Schillers unwürdige Lebensumstände hingewiesen, und alles was die Schimmelmanns antworteten, war zu bestätigen, wie schlecht die Zeiten seien und daß auch sie infolgedessen ihre Ausgaben kürzen müßten: "Ich warte auf irgend einen bequemen Tag, den ich mit Schimmelmann wenigstens zur Hälfte ganz allein zubringen kann - um etwas in dieser Sache zu bewirken. Bei ihr [der Gräfin] ist hierin nichts auszurichten. Sie findet, daß jeder Notleidende hier im Lande vorher geholfen werden muß."8
Nicht nur die Gräfin war dagegen, Schiller, dem Ausländer, zu helfen, auch Schimmelmann selbst sorgte sich um die politischen Folgen, wenn er sich an einem solch umstrittenen Vorhaben beteiligte. Trotz aller Schwierigkeiten gelang es Baggesen mit seiner jugendlichen und enthusiastischen Art, für die es kein Aufgeben gibt, Schimmelmann zu gewinnen. Schimmelmann willigte ein, die Hälfte des Betrages für Schiller zu geben, vorausgesetzt, daß seine Beteiligung nicht öffentlich bekannt würde.9 (Trotz dieses Zögerns bei der finanziellen Unterstützung waren die Schimmelmanns ihr Leben lang persönliche Freunde Schillers. Wann immer ein neues Werk erschien, wurde es an sie gesandt, und die Gräfin antwortete brieflich an Schiller oder dessen Frau Charlotte. Diese Korrespondenz setzte sich auch nach Schillers Tod fort, als die Schimmelmanns auch Charlotte finanziell halfen.) Am 27. November 1791 wurde dann der denkwürdige Brief Friedrich Christians und Schimmelmanns an Schiller abgesandt:
"An Schiller
Zwei Freunde, durch Weltbürgersinn miteinander verbunden, erlassen dieses Schreiben an Sie, edler Mann! Beide sind Ihnen unbekannt, aber beide verehren und lieben Sie. Beide bewundern den hohen Flug Ihres Genius, der verschiedene Ihrer neuern Werke zu den erhabensten unter allen menschlichen Zwecken stempeln konnte. Sie finden in diesen Werken die Denkart, den Sinn, den Enthusiasmus, der das Band ihrer Freundschaft knüpfte, und gewöhnten sich bei ihrer Lesung an die Idee den Verfasser derselben als Mitglied ihres freundschaftlichen Bundes anzusehen. Groß war also auch ihre Trauer bei der Nachricht von seinem Tode, und ihre Tränen flossen nicht am sparsamsten unter der grosen Zahl von guten Menschen die ihn kennen und lieben.
Dieses lebhafte Interesse, welches Sie uns einflößen, edler und verehrter Mann, verteidige uns bei Ihnen gegen den Anschein von unbescheidener Zudringlichkeit! Es entferne jede Verkennung der Absicht dieses Schreibens! Wir fassen es ab, mit einer ehrerbietigen Schüchternheit, welche uns die Delikatesse Ihrer Empfindungen einflößt. Wir würden diese sogar fürchten, wenn wir nicht wüßten, das auch ihr, der Tugend edler und gebildeter Seelen, ein gewisses Maß vorgeschrieben ist, welches sie ohne Mißbilligung der Vernunft nicht überschreiten darf.
Ihre durch allzu häufige Anstrengung und Arbeit zerrüttete Gesundheit, bedarf, so sagt man uns, für einige Zeit einer großen Ruhe, wenn sie wiederhergestellt und die Ihrem Leben drohende Gefahr abgewendet werden soll. Allein Ihre Verhältnisse Ihre Glücksumstände verhindern Sie, sich dieser Ruhe zu überlassen. Wollten Sie uns wohl die Freude gönnen, Ihnen den Genuß derselben zu erleichtern? Wir bieten Ihnen zu dem Ende auf drei Jahre ein jährliches Geschenk von tausend Talern an.
Nehmen Sie dieses Anerbieten an, edler Mann! Der Anblick unsrer Titel bewege Sie nicht abzulehnen. Wir wissen diese zu schätzen. Wir kennen keinen Stolz als nur den, Menschen zu sein, Bürger in der großen Republik, deren Grenzen mehr als das Leben einzelner Generationen, mehr als die Grenzen eines Erdballs umfassen. Sie haben hier nur Menschen, Ihre Brüder vor sich, nicht eitle Große, die durch einen solchen Gebrauch Ihrer Reichtümer nur einer etwas edlern Art von Hochmut fröhnen.
Es wird von Ihnen abhängen, wo Sie diese Ruhe genießen wollen. Hier bei uns würde es Ihnen nicht an Befriedigungen für die Bedürfnisse Ihres Geistes fehlen, in einer Haupstadt die der Sitz einer Regierung, zugleich ein großer Handlungsplatz10 ist, und sehr schäzbare Büchersammlungen enthält. Hochachtung und Freundschaft würden von mehrern Seiten wetteifern Ihnen den Aufenthalt in Dänemark angenehm zu machen, denn wir sind hier nicht die einzigen, welche Sie kennen und lieben. Und wenn Sie nach wiederhergestellter Gesundheit wünschen sollten, in Dienste des Staats angestellt zu werden, so würde es uns nicht schwer fallen, diesen Wunsch zu befriedigen.
Doch wir sind nicht so kleineigennützig, diese Veränderung Ihres Aufenthalts zu einer Bedingung zu machen. Wir überlassen dies Ihrer eignen freien Wahl. Der Menschheit wünschen wir einen ihrer Lehrer zu erhalten, und diesem Wunsche muß jede andre Betrachtung nachstehen.
Kopenhagen, den 27. November 1791
Friedrich Christian P. z. S. Holstein.
Ernst Schimmelmann"11
Prinz Friedrich Christian und Schimmelmann boten Schiller eine Unterstützung von 1000 Talern jährlich, eine Unterstützung, die ihm und seiner Familie den Unterhalt sichern würde. Das Angebot galt für drei Jahre, ohne weitere Zusätze. Alles, was Schiller zu tun hätte, wäre, seine Gesundheit wiederherzustellen. Er könne das Geld ausgeben, wie er es wünsche. Aber man lud ihn auch ein, sofort nach Dänemark zu kommen und stellte ihm nach der dreijährigen Frist ein öffentliches Amt (mit einem angemessenen Gehalt) in Aussicht.
All dies wurde Schiller angeboten, nicht als wohltätige Spende von ein paar reichen Dänen, die Mitleid mit einen armen deutschen Dichter hatten, sondern von zwei "Bürgern der größeren Republik", zwei Weltbürgern, die Schillers Bedeutung und dessen unschätzbaren Beitrag für die heutige und zukünftige Menschheit verstanden und schätzten. Friedrich Christian hoffte auch auf Schillers entscheidende Hilfe bei der Umgestaltung Dänemarks von einer absoluten Monarchie zu einer modernen Nation, die ein Tempel der Vernunft und der Freiheit werden sollte.
In einer Antwort an Jens Baggesen, die Schiller drei Tage nach Erhalt des großzügigen Angebots niederschrieb, sprach Schiller von seiner Sprachlosigkeit über den Brief und von dessen ungeheurer Bedeutung für ihn und seine Aufgabe:
"Jena den 16. Dez. 91.
Wie werd ich es anfangen, mein teurer und hochgeschätzter Freund, Ihnen die Empfindungen zu beschreiben, die seit dem Empfang jener Briefe in mir lebendig geworden sind? So überrascht und betäubt, als ich durch ihren Inhalt geworden bin und noch bin, erwarten Sie nicht viel Zusammenhängendes von mir. Mein Herz allein kann jetzt noch reden, und auch dieses wird von einem so kranken Kopf, als der meinige noch immer ist, nur schlecht unterstützt werden. Ein Herz, wie das Ihrige, kann ich für den liebevollen Anteil, den es an dem Schicksale meines Geistes nimmt, nicht schöner belohnen, als wenn ich das stolze Vergnügen, das Ihnen die edle und einzige Handlungsart Ihrer vortrefflichen Freunde an sich selbst schon gewähren muß, durch die fröhliche Überzeugung von einem vollkommen erfüllten wohlwollenden Zweck zu der süßesten Freude erhöhe.
Ja, mein teurer Freund, ich nehme das Anerbieten des Prinzen von H. und des Grafen S. mit dankbarem Herzen an - nicht, weil die schöne Art, womit es getan wird, alle Nebenrücksichten bei mir überwindet, sondern darum, weil eine Verbindlichkeit, die über jede mögliche Rücksicht erhaben ist, es mir gebietet. Dasjenige zu leisten und zu sein, was ich nach dem mir gefallenden Maß von Kräften leisten und sein kann, ist mir die höchste und unerläßlichste aller Pflichten. Aber meine bisherige äußere Lage machte mir dies schlechterdings unmöglich, und nur eine ferne, noch unsichre, Zukunft macht mir bessre Hoffnungen. Der großmütige Beistand Ihrer erhabenen Freunde setzt mich auf einmal in die Lage, so viel aus mir zu entwickeln als in mir liegt, mich zu dem zu machen, was aus mir werden kann - wo bliebe mir also noch eine Wahl übrig? Daß der vortreffliche Prinz, der sich von freien Stücken entschließt, dasjenige bei mir zu verbessern, was mir das Schicksal zu wünschen übrig gelassen hat, durch die edle Art, womit er diese Sache behandelt, zugleich alle Empfindlichkeiten schont, die mir meinen Entschluß hätten schwer machen können, daß er diese wichtige Verbesserung meiner Umstände durch keinen Kampf mit mir selbst erkaufen läßt, erhöht meine Dankbarkeit unendlich, und läßt mich die Freude über die Erfüllung eines meiner feurigsten Wünsche mit der schönen Freude über das Herz ihres Urhebers vereinigt empfinden.
Eine sittlich schöne Handlung aus der Klasse derjenigen, welche diesen Brief veranlaßt, empfängt ihren Wert nicht erst von ihrem Erfolge; auch wenn sie ganz ihren Zwecks verfehlte, bleibt sie was sie war. Aber wenn diese Handlung eines großdenkenden Herzens zugleich das notwendige Glied einer Kette von Schicksalen ist, wenn sie allein noch fehlte, um etwas Gutes möglich zu machen, wenn sie, die schöne Geburt der Freiheit, als wäre sie von der Vorsehung schon längst zu dieser Absicht berechnet worden, ein verworrenes Schicksal entscheidet, dann gehört sie zu den schönsten Erscheinungen, die sich einem fühlenden Herzen darstellen können. Wie sehr dieses hier der Fall ist, werd ich und muß ich Ihnen sagen.
Von der Wiege meines Geistes an bis jetzt, da ich dieses schreibe, habe ich mit dem Schicksal gekämpft, und seitdem ich die Freiheit des Geistes zu schätzen weiß, war ich dazu verurteilt, sie zu entbehren. Ein rascher Schritt vor zehn Jahren schnitt mir auf immer die Mittel ab, durch etwas anders als schriftstellerische Wirksamkeit zu existieren. Ich hatte mir diesen Beruf gegeben, eh ich seine Forderungen geprüft, seine Schwierigkeiten übersehen hatte. Die Notwendigkeit ihn zu treiben, überfiel mich, ehe ich ihm durch Kenntnisse und Reife des Geistes gewachsen war. Daß ich dieses fühlte, daß ich meinem Ideale von schriftstellerischen Pflichten nicht diejenigen engen Grenzen setzte, in welche ich selbst eingeschlossen war, erkenne ich für eine Gunst des Himmels, der mir dadurch die Möglichkeit des höhern Fortschritts offen hält, aber in meinem Umständen vermehrte sie nur mein Unglück. Unreif und tief unter dem Ideale, das in mir lebendig war, sah ich jetzt alles, was ich zur Welt brachte; bei aller geahndeten möglichen Vollkommenheit mußte ich mit der unzeitigen Frucht vor die Augen des Publikums eilen, der Lehre selbst so bedürftig, mich wider meinen Willen zum Lehrer der Menschen aufwerfen. Jedes, unter so ungünstigen Umständen nur leidlich gelungene Produkt ließ mich nur desto empfindlicher fühlen, wie viele Keime das Schicksal in mir unterdrückte. Traurig machten mich die Meisterstücke anderer Schriftsteller, weil ich die Hoffnung aufgab, ihrer glücklichen Muße teilhaftig zu werden, an der allein die Werke des Genius reifen. Was hätte ich nicht um zwei oder drei stille Jahre gegeben, die ich frei von schriftstellerischer Arbeit bloß allein dem Studieren, bloß der Ausbildung meiner Begriffe, der Zeitigung meiner Ideale hätte widmen können!
Zugleich die strengen Forderungen der Kunst zu befriedigen, und seinem schriftstellerischen Fleiß auch nur die notwendige Unterstützung zu verschaffen, ist in unsrer deutschen literarischen Welt, wie ich endlich weiß, unvereinbar. Zehen Jahre habe ich mich angestrengt, beides zu vereinigen, aber es nur einigermaßen möglich zu machen, kostete mir meine Gesundheit. Das Interesse an meiner Wirksamkeit, einige schöne Blüten des Lebens, die das Schicksal mir in den Weg streute, verbargen mir diesen Verlust, bis ich zu Anfang dieses Jahres - Sie wissen wie? - aus meinem Traume geweckt wurde. Zu einer Zeit, wo das Leben anfing, mir seinen ganzen Wert zu zeigen, wo ich nahe dabei war, zwischen Vernunft und Phantasie in mir ein zartes und ewiges Band zu knüpfen, wo ich mich zu einem neuen Unternehmen im Gebiete der Kunst gürtete, nahte sich mir der Tod. Diese Gefahr ging zwar vorüber, aber ich erwachte nur zum neuen Leben, um mit geschwächten Kräften und verminderten Hoffnungen den Kampf mit dem Schicksal zu wiederholen. So fanden mich die Briefe, die ich aus Dänemark erhielt.
Verzeihen Sie mir, teurer Freund, dieser Ausführlichkeit über mich selbst; ich will Sie dadurch nur in den Stand setzen, sich selbst den Eindruck zu denken, den der edelmütige Antrag des Prinzen und des Grafen S. auf mich gehabt hat. Ich sehe mich dadurch auf einmal fähig gemacht, den Plan mit mir selbst zu realisieren, den sich meine Phantasie in ihren glücklichsten Stunden vorgezeichnet hat. Ich erhalte endlich die so lange und so heiß gewünschte Freiheit des Geistes, die vollkommen freie Wahl meiner Wirksamkeit. Ich gewinne Muße, und durch sie werde ich meine verlorene Gesundheit vielleicht wieder gewinnen; wenn auch nicht, so wird künftig Trübsinn des Geistes meiner Krankheit nicht mehr neue Nahrung geben. Ich sehe heiter in die Zukunft - und gesetzt es zeigte sich auch, daß meine Erwartungen von mir selbst nur liebliche Täuschungen waren, wodurch sich mein gedrückter Stolz an dem Schicksal rächte, so soll es wenigstens an meiner Beharrlichkeit nicht fehlen, die Hoffnungen zu rechtfertigen, die zwei vortreffliche Bürger unsers Jahrhunderts auf mich gegründet haben. Da mein Los mir nicht verstattet, auf ihre Art wohltätig zu wirken, so will ich es doch auf die einzige Art versuchen, die mir verliehen ist - und möchte der Keim, den sie ausstreuten, sich in mir zu einer schönen Blüte für die Menschheit entfalten!..."12
Schiller beendete seinen Brief, indem er bedauerte, daß er Baggesens Wunsch, er möge nach Kopenhagen kommen, nicht nachkommen könne. Seine Gesundheit erlaube es nicht, und aus gesundheitlichen Gründen plane er, den Sommer in Karlsbad zu verbringen. Er habe auch Verpflichtungen an der Universität, die er erfüllen müsse. Aber er hoffe, bald nach Kopenhagen kommen zu können, um alle diese wunderbaren Menschen zu treffen, die so viel für ihn täten.
In seinem Brief an Prinz Friedrich Christian und den Grafen Schimmelmann vom 19. Dezember 1791, in dem er die Stiftung annimmt, schrieb Schiller:
"...Zu einer Zeit, wo die Überreste einer angreifenden Krankheit meine Seele umwölkten und mich mit einer finstern traurigen Zukunft schreckten, reichen Sie mir, wie zwei schützende Genien, die Hand aus den Wolken. Das großmütige Anerbieten, das Sie mir tun, erfüllt ja übertrifft meine kühnsten Wünsche. Die Art mit der Sie es tun, befreit mich von der Furcht, mich Ihrer Güte unwert zu zeigen, indem ich diesen Beweis davon annehme. Erröten müßte ich, wenn ich bei einem solchen Anerbieten an etwas anders denken könnte, als an die schöne Humanität, aus der es enspringt, und an die moralische Absicht, zu der es dienen soll. Rein und edel, wie Sie geben, glaube ich, empfangen zu können. Ihr Zweck dabei ist, das Gute zu befördern; könnte ich über etwas Beschämung fühlen, so wäre es darüber, das Sie sich in dem Werkzeug dazu geirret hätten. Aber der Beweggrund, aus dem ich mir erlaube es anzunehmen, rechtfertigt mich vor mir selbst und läßt mich, selbst in den Fesseln der höchsten Verpflichtung mit völliger Freiheit des Gefühls vor Ihnen erscheinen. Nicht an Sie, sondern an die Menschheit habe ich meine Schuld abzutragen. Diese ist der gemeinschaftliche Altar, wo Sie Ihr Geschenk und ich meinen Dank niederlege. Ich weiß, meine Verehrtesten, daß nur die Überzeugung, von mir verstanden zu sein, Ihre Zufriedenheit vollendet; darum und darum allein erlaubte ich mir, dies zu sagen.
Aber der nahe Anteil, den ein allzu parteiliches Wohlwollen für mich an Ihrer großmütigen Entschließung hat, der Vorzug, den Sie vor so vielen andern mir erteilen, mich als das Werkzeug Ihrer schönen Absicht zu denken, die Güte, mit der Sie zu den kleinen Bedürfnissen eines Ihnen so fremden Weltbürgers herabsteigen, legen mir gegen Sie die persönlichsten Pflichten auf und mischen in meine Ehrfurcht und Bewunderung die Gefühle der innigsten Liebe. Wie stolz machen Sie mich, das Sie meiner in einem Bunde gedenken, den der edelste aller Zwecke heiligt, den der Enthousiasm fürs Gute, fürs Große und Schöne geknüpft hat. Aber wie weit ist die Begeisterung, welche in Taten sich äußert, über diejenige erhaben, die sich darauf einschränken muß, zu Taten geweckt zu haben. Wahrheit und Tugend mit der fliegenden Kraft auszurüsten, wodurch sie Herzen sich unterwürfig machen, ist alles was der Philosoph und der darstellende Künstler vermögen - wie viel anders ists, die Ideale von beiden in einem schönen Leben zu realisiren. Ich muß Ihnen hier mit den Worten des Fiesko antworten, womit er den Stolz eines Künstlers abfertigt: Sie haben getan, was ich nur malen konnte. -
... Die Möglichkeit, Ihnen denjenigen in Person darzustellen, den Sie sich so tief verpflichtet haben, wird das Werk Ihrer großmütigen Unterstützung sein. Durch diese werde ich mich in den Stand gesetzt sehen, meine Gesundheit allmählich wiederzugewinnen, und die Beschwerden einer Reise, den Wechsel der Lebensart und des Climas zu ertragen. Gegenwärtig bin ich noch immer den Rückfällen in eine Krankheit ausgesetzt, die mir den Genuß der reinsten Lebensfreuden schmälert, und nur sehr langsam, wie sie kam, wird zu heben sein. Unter den vielen Entbehrungen, wozu Sie mich verurteilt, ist diese keine der geringsten, daß sie die glückliche Zeit verzögert, wo mich der lebendige Anblick und Umgang mit tausend unzerreißbaren Banden an zwei Herzen fesseln wird, die mich jetzt noch aus unsichtbarer Ferne, wie die Gottheit, beglücken, und, wie diese, meinem Dank unerreichbar sind. In dieser schönen Zukunft zu leben und mit seinen Wünschen und Träumen diesem Zeitpunkt voranzueilen, wird bis dahin die liebste Beschäftigung sein
Ihres tief verpflichteten und ewig dankbaren Fridr. Schiller"13
Schiller konnte sein Versprechen nicht einlösen. In den folgenden fünf Jahren, während derer er von Friedrich Christian und Schimmelmann unterstützt wurde, gelang es ihm nicht, seine Gesundheit wiederherzustellen, aber sein dichterischer und philosophischer Genius konnte sich entfalten und war ungebrochen.
Er kam nie bis nach Dänemark, richtete aber eine Reihe von Briefen über die ästhethische Erziehung an den Prinzen Friedrich Christian, die, Brief auf Brief, in der dänischen Elite zirkulierten und - wie in einem späteren Aufsatz gezeigt werden wird - zu einer entscheidenden Quelle der Inspiration für die Schritte werden, die dann zu Dänemarks Goldenem Zeitalter führen.
Die Ideen, die Schiller in seinen Briefen an den Prinzen entwickelte, fanden in der Schrift Über die ästhetische Erziehung des Menschen ihren Niederschlag. Andere Teile des Briefwechsels flossen in andere ästhetische Schriften Schillers ein, wie beispielsweise Über die Gefahr ästhetischer Sitten, Von den notwendigen Grenzen des Schönen, besonders im Vortrag philosophischer Wahrheiten, Über das Erhabene, Gedanken über den Gebrauch des Gemeinen und Niedrigen in der Kunst und Über das Naive.14
Im Augenblick größter Gefahr wurde Schiller durch die erhabenen Handlungen Jens Baggesens, Friedrich Christian von Augustenburgs und Ernst Schimmelmanns gerettet. Der Menschheit wurde der Lehrer erhalten. Ende 1791 schrieb Schiller an seinen Freund Körner: "Ich habe endlich einmal Muße zu lernen und zu sammeln und für die Ewigkeit zu arbeiten."15
Trotz seiner schwachen Gesundheit lebte Schiller noch vierzehn produktive Jahre bis zu seinem Tod im Jahre 1805. Neben seinen ästetischen Schriften schrieb er die Meisterdramen Wallenstein, Maria Stuart, Die Jungfrau von Orleans und Wilhelm Tell sowie Balladen wie Der Taucher und Die Kraniche des Ibykus und eine große Zahl wunderschöner poetischer Werke. Um wieviel ärmer wäre die Welt ohne sie!
1. Schiller und der Herzog von Augustenburg in Briefen. Mit Erläuterungen von Hans Schulz. Jena, 1905. S. 6.
2. Ebenda. S. 9-10.
3. Ebenda. S.10.
4. Ebenda S. 10.
5. Ebenda S. 18.
6. Briefwechsel des Herzogs Friedrich Christian zu Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg mit König Friedrich VI. von Dänemark. Herausgegeben von Hans Schulz, Leipzig, 1908. S.34
7. Timoleon und Immanuel. Dokumente einer Freundschaft. Briefwechsel zwischen Friedrich Christian zu Schleswig-Holstein und Jens Baggesen. Herausgegeben von Hans Schulz. Leipzig, 1910. S. 69.
8. Ebenda S. 70.
9. Schillers guter Freund Körner, den man nicht angewiesen hatte, die Namen der Wohltäter geheimzuhalten, hatte der Presse gegenüber darüber gesprochen. Zu seinem großen Erstaunen konnte Friedrich Christian über sein Angebot an Schiller in der Zeitung lesen, genau zu dem Zeitpunkt, als Schiller es annahm. Sofort schrieb Schiller an Baggesen und bat ihn, Schimmelmann sein Bedauern auszudrücken und die Sache aus dem Weg zu räumen. Dies gelang Baggesen auch. Es kam hinzu, daß die Öffentlichkeit die Nachricht, daß die beiden Edelleute Schiller zu Hilfe kamen, sehr positiv aufnahm.
10. In einer anderen Version des Briefes, den Max Müller 1850 und 1875 in Berlin 1850 veröffentlicht, heißt es "ein großer Handelsplatz" anstelle von "Handlungsplatz".
11. Schiller und der Herzog von Augustenburg in Briefen. Mit Erläuterungen von Hans Schulz. Jena, 1905, S. 24-26.
12. Ebenda S. 34-38.
13. Ebenda S. 41-44.
14. Ebenda S. 138-139.
15. Ebenda S. 33.
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