Oktober 2003 Rhodos 2003

"Die kommenden Generationen müssen ein besseres Leben haben"

Von Helga Zepp-LaRouche

Die Zusammenkunft des World Public Forum "Dialog der Zivilisationen" Anfang September auf Rhodos war ein großer Schritt in Richtung des Fortschritts der menschlichen Gattung und hin zur möglichen Abwendung einer globalen Tragödie.


Aus der Sicht Asiens
Diskussionen über Kultur und Religion

Wie J.C. Kapur, Präsident der Kapur Surya-Foundation, auf der Rhodos-Konferenz des World Public Forum betonte, stellte diese Konferenz einen wichtigen Fortschritt dar. Frühere ähnliche Konferenzen seien letztlich gescheitert, weil die Teilnehmer unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten gehabt hätten. Deshalb habe man sich entschlossen, unabhängige Denker aus verschiedenen Nationen zusamenzubringen, die gemeinsam an einer Philosophie für ein neues Jahrtausend arbeiten sollten. In der Tat hatte dieses (letztlich cusanische) Konzept, daß sich die verschiedenen Nationen und Kulturen überhaupt nur deshalb untereinander verständigen können, weil sie alle Philosophen, Wissenschaftler, Künstler usw. hervorgebracht haben, einen weitgehenden Erfolg.

Kapur, einer der drei Vorsitzenden der Konferenz, wies in wiederholten Interventionen auf die Gefahren hin, die aus der Gleichzeitigkeit der Globalisierung und Fragmentierung der menschlichen Persönlichkeit erwüchsen. Deshalb sei das Ziel eines einzigen zivilisatorischen Modells unannehmbar. Es müsse garantiert werden, daß die Vielzahl der Kulturen sich entfalten könnten, die allerdings dadurch miteinander verbunden seien, daß sie alle letztlich Teil der kosmischen Ordnung seien.

Wir müßten uns heute grundsätzlich die Frage stellen, wie die Zivilisation aussehen soll, die wir für uns selber schaffen wollen, und ob wir wirklich eine Welt wollen, in der Zehnjährige mit Maschinengewehren herumlaufen. Die gegenwärtige Ordnung des "mit Waffengewalt verteidigten Konsums" sei inakzeptabel, weil sie zu einer absurden Anhäufung von Reichtum in den Händen weniger bei gleichzeitiger Verelendung von Milliarden von Menschen geführt habe. Wir brauchten statt dessen eine Weltordnung, in der kein einziger Mensch hungrig bleiben müsse. Aber um das neue Paradigma für eine menschlichere Welt zu schaffen, müsse man die materielle und die spirituelle Entwicklung des Menschen als untrennbare Einheit verstehen.

Wladimir Jakunin, stellvertretender Verkehrsminister der Russischen Föderation und ebenfalls einer der drei Vorsitzenden der Konferenz, wies darauf hin, daß die Mechanismen der internationalen Institutionen nicht mehr funktionierten. Man könne heute sehr deutlich sehen, wie das 21. Jahrhundert nicht aussehen solle: ein Anwachsen von materiellem Reichtum bei einigen, aber nicht an Glück, eine Zunahme an Drogen, Selbstmorden und das Leiden unschuldiger Menschen unter den Auswirkungen des Terrorismus. Die Welt erlebe eine tiefe Krise der Werte, in der materielle Gesichtspunkte bei weitem den Vorrang vor den geistigen gewonnen hätten.

Einige Kräfte stellten sich eine Welt vor, in der Rußland, China, Indien und Europa nicht existierten. Wieder andere begehrten eine Welt, in der es die USA nicht gebe. Aber beide Sichtweisen seien Ausdruck eines Glaubens an Zauberei. Statt dessen müsse es einen Dialog der Zivilisationen geben, nicht um die Unterschiede zwischen ihnen zu verwischen, sondern um zu einer wirklichen Verständigung zu gelangen. Dieser Dialog sei kein Ersatz für politisches Handeln, wie die spirituelle Seite kein Ersatz für die rationale sei. Die geistige Komponente sei vielmehr wichtig in der Gesamtentwicklung der Menschheit und repräsentiere einen Schritt in der Evolution der menschlichen Gesellschaft. Dieser Dialog bereichere alle, die an ihm teilnähmen. Das neue Paradigma müsse viel menschlicher sein und die Beziehung zwischen Ländern und Völkern grundsätzlich verändert werden.

Aus der Sicht Asiens

Sehr beeindruckend war auch die Rede des ehemaligen indischen Ministerpräsidenten Inder Kumar Gujral, der betonte, die Welt befinde sich in ernster Gefahr und in einer Situation, in der ein Land nach dem anderen destabilisiert werde. Vor allem Asien erlebe die schlimmsten Spannungen, von Westasien und der Lage in Israel und Palästina über den Irak, die Lage in Kaschmir bis hin zu Nordkorea. Der islamische Fundamentalismus destabilisiere weite Bereiche von Sinkiang bis Pakistan, Afghanistan und den zentralasiatischen Republiken.

In den 80er Jahren hätten es die USA als in ihrem Interesse liegend gesehen, den Krieg zwischen dem Irak und dem Iran zu unterstützen, und den Irak selber mit Massenvernichtungswaffen ausgerüstet. Heute dagegen seien auch fünf Monate nach der Invasion noch keine solcher Waffen gefunden worden. Im Irak herrsche heute eine furchtbare Lage, in der täglich Menschen ums Leben kämen. Der Irak müsse schnellstens eine frei gewählte Regierung erhalten und die Oberaufsicht bis dahin an die UN übergeben werden.

Große Sorgen bereite auch die neue Militärdoktrin der USA, die einen nuklearen Präventivkrieg ermögliche. Wenn man Süd- und Nordkorea in Ruhe ließe, könnten die Probleme auf friedlichem Wege gelöst werden. Leider sei auch eine Invasion in den Iran nicht auszuschließen. Dagegen sei es die Ansicht der Staaten Asiens, daß eine US-Präsenz in Asien nicht notwendig und überhaupt fremde Truppen unerwünscht seien. Angesichts der großen Gefahren müsse ganz Asien sich vereinen.

Diskussionen über Kultur und Religion

In einem eigenen Panel sprachen eine Reihe von Filmautoren und -produzenten über die Lage der Kultur und die Möglichkeiten von Film und Medien. Ein neuer Film über Afghanistan zeigte die furchtbare Realität in Afghanistan, in dem angeblich der Krieg schon vor fast zwei Jahren gewonnen worden ist. Die Unmenschlichkeit des Krieges wurde ebenfalls in einer Ausstellung und Gedichtrezitation über die Lage auf dem Balkan deutlich. Der polnische Filmregisseur Zanussi fand es deprimierend, wie tief das Niveau der Kunst heute gesunken sei, und appellierte an die Teilnehmer, alles ihnen Mögliche dazu beizutragen, damit zukünftige Generationen einmal ein besseres Leben führen könnten.

Von den vielen interessanten Beiträgen der verschiedenen Religionsvertreter sei hier nur derjenige des stellvertretenden Vorsitzenden der Abteilung für ausländische Beziehungen der Russisch-Orthodoxen Kirche, Vater Mark, erwähnt. Er betonte, daß wir in einer Epoche der tiefen menschlichen Desintegration leben.

Es herrsche im Westen wie in Rußland die Philosophie Dostojewskis, nach der alles erlaubt ist. Klarstes Beispiel davon seien die Massenmedien, die Gewalt, Drogen und Perversion verherrlichten. Wenn wir diese Krise der Persönlichkeit überwinden wollen, müsse der Dialog die Entwicklung der Persönlichkeit fördern und helfen, zu den tiefen Wurzeln der Spiritualität zu finden, wie sie in Religion und Kultur zu finden seien. Es müsse zu einem Treffen der Seelen kommen.

Der Vertreter des Oberrabbiners von Rußland hob einen wichtigen Punkt hervor, daß nämlich der Mensch das einzige Wesen ist, das mit Vernunft und freiem Willen ausgestattet und demzufolge selbst für seine Fortschritte und seine Tragödien verantwortlich ist.

In diesem Sinne war die Konferenz von Rhodos ein großer Schritt in die Richtung des Fortschritts der menschlichen Gattung und hin zur möglichen Abwendung einer globalen Tragödie. Alle Teilnehmer brachten zum Ausdruck, daß sie diesen Dialog in ihre jeweiligen Heimatländer weitertragen und ausbauen wollen.

Ein erster Bericht von H. Zepp-LaRouche über diese Konferenz erschien in Neue Solidarität Nr. 38/2003.


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