Oktober 2003 Rhodos 2003

"Dialog der Zivilisationen"

Rhodos-Konferenz arbeitet an einer neuen Grundlage für eine
"gerechte, mitleidsvolle und humane Ordnung"

Von Helga Zepp-LaRouche

Die Vorsitzende der BüSo und des Schiller-Instituts Helga Zepp-LaRouche berichtet über eine Veranstaltung des World Public Forum (Öffentliches Weltforum) in Rhodos, an der Delegierte aus 36 Ländern teilnahmen.

Vier Tage lang trafen sich rund 350 Delegierte aus 36 Ländern auf der geschichtsträchtigen Insel Rhodos, um gemeinsam nach den philosophischen, spirituellen und moralischen Grundlagen für eine neue, menschliche Weltordnung zu suchen. In gewisser Weise entrückt von der aktuellen Tagespolitik - aber im vollen Bewußtsein über die Schwere der existentiellen Krise, in der sich die Menschheit befindet - diskutierten Intellektuelle, Politiker, Theologen, Künstler, Wissenschaftler und Wirtschaftsleute über die geistige Basis, die geschaffen werden muß, wenn die Welt einem andernfalls sicheren Armageddon entgehen soll.

Das World Public Forum "Dialogue of Civilizations" wurde vom Center of National Glory of Russia (Rußland), der Titan Capital Corporation (Griechenland) und der Kapur Surya Foundation (Indien) organisiert. Der Vorsitzende der Konferenz, der stellv. Verkehrsminister der russischen Föderation, Wladimir Jakunin, und die Co-Vorsitzenden J. Kapur, Präsident der Surya Foundation, und N. Papanicolaou, Präsident der Titan Corporation, waren ein eingespieltes Team: Mit einer Serie vorbereitender Dialoge in Indien, im Iran und Rußland war die Vorarbeit für Rhodos geleistet worden.

Unter dem wachsenden Druck des unilateraler Machtansprüche und des damit einhergehenden Krieges zwischen den Zivilisationen fanden in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Konferenzen zum "Dialog der Zivilisationen" statt. Was an dieser Konferenz in Rhodos anders war, war nicht zuletzt die großartige Kulisse des im 12.Jh. erbauten Schlosses des Johanniterordens, sondern vor allem der Geist der Insel Rhodos, die seit vielen tausend Jahren eine Stätte ist, wo viele verschiedene Kulturen ihre Spuren hinterlassen haben. Erste Siedlungen datieren zurück in die neolithische Periode, um 1500 v.Chr. siedelten die Minoer in der Gegend um die antike Stadt Ialysos, während die Achaier sich über die ganze Insel ausbreiteten. Um etwa 1100 v.Chr. begannen die Dorier die Insel zu kolonisieren.

Die goldene Periode ereignete sich im 5. und 3. Jahrhundert v.Chr., in der sich die Insel zu einem mächtigen wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum entwickelte. Im Jahre 57 n.Chr. landete der Apostel Paulus im kleinen Hafen nahe der Stadt Lindos und taufte die ersten Christen auf der Insel. Später war die Insel zeitweise Teil des Byzantinischen Reiches, sie wurde von den Sarazenen und Arabern erobert, von den Kreuzfahrern besetzt, war Teil des Osmanischen Reiches, wurde von Italien besetzt und schließlich 1948 Griechenland eingegliedert.

Nach der griechischen Mythologie ist die Insel nach der schönen Nymphe Rhodos, der Tochter des Seegottes Poseidon und seiner Frau Amphitrite, benannt. Der Vereinigung der Nymphe mit dem mächtigen Sonnengott Helios, dem Schutzpatron der Insel, entsprangen sieben Kinder. Die vielfältigen historischen, mythologischen und künstlerischen Eindrücke, die hier nur ganz kurz skizziert werden können, machten die Insel Rhodos in der Tat zu einer inspirierenden Umgebung für diese Konferenz, bei der es um nichts Geringeres ging, als sich auf die Prinzipien zu einigen, die einer menschlichen Weltordnung in der Zukunft zugrundeliegen müssen. Der Geist der Universalgeschichte war präsent.

In vier Plenarsitzungen und fünf Panel-Gruppen unterteilt, beschäftigte sich die Konferenz an drei Arbeitstagen mit den unterschiedlichen Themenbereichen des notwendigen Dialogs: mit zeitgenössischen Problemen der internationalen Beziehungen, Prognosen für die globale Entwicklung, Fragen des Dialogs zwischen den Religionen, Sicherheitsproblemen der Gegenwart sowie der Rolle der Medien und der Filmkunst im Dialog der Kulturen. Die verschiedenen Sprecher - alles Koriphäen auf ihren Gebieten - beleuchteten die unterschiedlichsten Aspekte der Probleme, mit denen die Menschheit heute konfrontiert ist.

Angesichts der großen Vielfalt der Blickwinkel der Redner und der Fülle der Themen, repräsentierte der Entwurf des Textes der "Erklärung von Rhodos" den gemeinsamen Geist, der alle Teilnehmer verband: ein tiefes Unbehagen mit der Werteskala der gegenwärtigen Weltordnung, bei der die eine Seite versucht, eine "durch Waffengewalt verteidigte Konsumentengesellschaft" aufrecht zu erhalten, während die andere Seite meint, im Terrorismus die Lösung finden zu müssen. Einig waren sich die Teilnehmer auch in der Analyse, daß die gegenwärtige Weltordnung der Menschheit bereits unerträglichen Schaden zugefügt, und die absolute Mehrheit der Weltbevölkerung in furchtbare Armut gestürzt hat, während sie gleichzeitig die Akkumulierung einer absurden Größenordnung von Reichtum in den Händen einer relativ kleinen Gruppe von Superreichen bewirkt hat.

Um dem grenzenlosen und sinnlosen Appetit für materielle Güter, verbunden mit einer gewaltverherrlichenden Unkultur, zu begegnen, will das World Public Forum von jetzt an daran arbeiten, die materielle mit der spirituellen Seite des Menschen zu verbinden. Auf der einen Seite müsse die Idee der universellen Menschenrechte - also das Recht auf Nahrung, Wohnung, Gesundheit, Erziehung, saubere Luft und sauberes Wasser - für alle Menschen auf diesem Planeten garantiert werden. Aber diese materielle Voraussetzung müsse mit der spirituellen Seite des Menschen zu einer einheitlichen und harmonischen Ganzheit entwickelt werden.

Es war dieser prinzipielle Fokus der Konferenz und des Geistes der Erklärung, der das Thema meines Beitrags in der ersten Plenarsitzung definierte: "Schillers Konzept der schönen Seele - ein Beitrag der deutschen Klassik für eine neue menschliche Ordnung" lautete der Titel des Vortrags. Denn kein Denker oder Dichter Deutschlands hat mit seinem Werk mehr für die harmonische Entwicklung der Persönlichkeit des Menschen beigetragen als eben Schiller. Besonders seine Idee des Erhabenen, das Konzept, daß der Mensch seine Identität nun einmal nicht in der Welt der sinnlichen Erfahrung und des Materiellen lokalisiert, sondern seine Unsterblichkeit in den großen Ideen findet, die den Fortschritt der Menschheit bedeuten, kann angesichts der heutigen moralischen Krise helfen, die enge Welt des Materialismus zu überwinden.

Es ist unmöglich, in einem kurzen Bericht wie diesem die Fülle der angeregten Gespräche am Rande der Konferenz, den vielfältigen fruchtbaren Austausch von Ideen und Plänen zu beschreiben. Die Atmosphäre der Konferenz war dem Dialog äußerst förderlich. Der Eröffnungsempfang und die feierliche Schlußveranstaltung fanden jeweils in den Räumen bzw. dem Innenhof des Anfang des 14.Jh. erbauten Schlosses des Johanniterordens statt. Der Vorsitzende der Konferenz, Wladimir Jakunin, setzte bereits bei seiner Eröffnungsansprache den Ton, indem er auf seinen Enkel verwies und sagte, daß die Zukunft den Kindern und der Jugend gehöre, und der Dialog der Kulturen deshalb für sie eine bessere Welt gestalten müsse. Jagdish Kapur endete seine Ausführungen mit demselben Gedanken, daß bei zukünftigen Konferenzen ein Drittel der Teilnehmer aus Jugendlichen bestehen werde.

Die Idee, daß die Menschheit nur aus dieser Krise herauskommen werde, wenn die besten Traditionen aller Kulturen und Zivilisationen heute aktualisiert werden, wurde allgemein akzeptiert und gibt der Hoffnung Nahrung, daß eine neue Renaissance der Menschheit nicht weit entfernt ist. Der Aufforderung Jakunins, daß die Erklärung von Rhodos die breiteste Veröffentlichung und Verteilung finden soll, können wir uns nur anschließen.


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