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August 2006 | Dialog der Kulturen |
Dialog und Kultur
Wie wir den Dialog der Kulturen verstehenWer sich in Deutschland für den "Dialog der Kulturen" einsetzt, der rennt -- in Deutschland wenigstens -- anscheinend offene Türen ein. Man kann sich kaum vorstellen, daß überhaupt jemand dagegen sein könnte. Wer will schon Krieg, wenn er Frieden haben kann? So denken normal veranlagte, zivilisierte Menschen. Doch leider haben in den USA die neokonservativen Ideologen des "Kampfes der Kulturen" seit dem Putsch vom 11. September 2001 in der Regierung immer mehr die Oberhand gewonnen. Zwar wächst auch in Amerika der Widerstand gegen diese "Kriegspartei ", aber bisher hat niemand verhindert, daß sie einen Krieg nach dem anderen angezettelt haben: Afghanistan, Irak, als nächstes womöglich Iran? Nordkorea? Die neoimperiale Kriegspolitik der Regierungen Cheney/Bush und Blair geht zurück auf das 1996 erschienene Buch Clash of Civilizations des rechten Harvard-Professors Samuel Huntington, das seither in ein Dutzend Sprachen übersetzt wurde. Der "Kampf der Kulturen", so der deutsche Titel, sei unausweichlich, argumentiert Huntington, denn die Gegensätze zwischen den wichtigsten Kulturen seien unüberbrückbar. Huntingtons Argument ist nicht bloß wissenschaftlich unhaltbar, sondern auch höchst unredlich, weil der Entschluß zum Kriege dem Argument, warum dieser angeblich unvermeidbar sei, vorausgeht. Nach dem Untergang der Sowjetunion und dem Kommunismus mußten neue Feindbilder her, ein neues Grundmotiv für kalte und heiße Kriege. Huntington lieferte dazu den Unterbau, sozusagen das ideologische Füllhorn, aus dem anschließend eine Vielzahl von Abkömmlingen hervorströmen könnten -- jeweils nach dem gleichen Muster gestrickt, doch in der Rhetorik, je nach Zielgruppe, mal militaristisch, mal esoterisch, mal christlich-fundamentalistisch, mal malthusianisch oder noch anders aufbereitet. Wir sind also nicht naiv, wenn wir uns für den Dialog der Kulturen einsetzen. Und wir sind überzeugt, daß ein echter Dialog der Kulturen und Religionen zwischen den Völkern und Nationen der Welt in dieser gefährlichen Weltlage um so wichtiger und nötiger ist. Allein schon die zunehmende wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit auf dem eurasischen Kontinent ermöglicht und erfordert einen solchen Dialog der Kulturen. Schließlich steht der Bau der eurasischen Landbrücke an, die auch "neue Seidenstraße" genannt wird. Auch in den Zeiten der alten Seidenstraße waren die kostbarsten Güter, die auf ihr transportiert wurden, Ideen, die neue fruchtbare Bande zwischen den Völker knüpften. Das ist ja das Faszinierende: Durch den Austausch von Ideen wird niemand ärmer, sondern alle werden reicher. Was bedeutet "Einheit in der Vielfalt"?Der Dialog der Kulturen ist ein sehr machtvolles Konzept. Gerade angesichts der brutalen Faustrechtordnung, die uns heute als Weltherrschaftskonzept verkauft wird, ist es wichtig zu begreifen, worin dieses "Machtvolle" des Dialogs der Kulturen wirklich liegt. Ein Schlüssel dazu ist der Begriff "Einheit in der Vielfalt", den zwar viele in bester Absicht im Munde führen, aber nur eine unklare Vorstellung davon haben, was er eigentlich bedeutet. Denn diese Einheit bedeutet eben nicht den "einen Topf", in den man all das Vielfältige hineinwirft, sondern vielmehr ein höheres gemeinsames Prinzip, das es im Zuge des Dialogs aufzufinden gilt. Die Einheit in der Vielfalt ist ein sehr präzises philosophisches Konzept, das Nikolaus von Kues besonders machtvoll auf den religiösen Dialog angewandt hat. In seiner Schrift Über den Frieden im Glauben läßt er die Vertreter von 17 Religionen der Welt nach der "einen Religion" hinter den verschiedenen religiösen Bräuchen suchen, so wie der Dichter Lessing die Suche nach der "einen Wahrheit" zur Richtschnur des menschlichen Denkens erklärte. Man kann es auch mathematisch ausdrücken. Unter Bezug auf Nikolaus von Kues hat der Mathematiker Georg Cantor (1845-1918 ) dies in seiner allgemeinen Mannigfaltigkeitslehre und dem Begriff der transfiniten Zahlen getan. Eine transfinite Zahl ist nichts weiter als dasjenige Erzeugungsprinzip, welches eine wohlgeordnete, unendliche Menge als Einheit definiert. Das einfachste Zahlenbeispiel ist die unendliche Menge 1, 2, 3, 4, ..., n. Sie wird erzeugt, indem man immer 1 addiert, um das nächste Glied zu erhalten. Das Erzeugungsprinzip "+1" macht diese ganze unendliche Menge in einem Begriff erfaßbar. Cantor schreibt daher (griech. w) = 1, 2, 3, 4, ..., n und nennt (griech. w) die kleinste überendliche oder transfinite Zahl, weil sie es schafft, eine Unendlichkeit auf den Begriff zu bringen. Übertragen auf den Dialog der Kulturen entspricht dieses Transfinitum der Suche nach einem gemeinsamen höheren Prinzip, einer höheren Idee, aus dem beide Kulturen, so unterschiedlich sie auch sein mögen, ableitbar sind. Für den konkreten Dialog der Kulturen bedeutet dies, daß die Kulturen, die in einen wirklichen Dialog miteinander eintreten, sich nicht damit begnügen, bloß die vielen unterschiedlichen Merkmale ihrer Kulturen gegenüber zu stellen und zu vergleichen, "Schnittmengen" solcher Merkmale festzustellen oder daraus einen "kleinsten gemeinsamen Nenner" zu errechnen. Solche Ökumene der Schnittmengen oder kleinsten gemeinsamen Nenner birgt ohnehin die Gefahr, daß alle Beteiligten sich dadurch um etwas vermindert fühlen. Das cusanische Prinzip hingegen, die Suche nach dem Ursprung, vermindert nicht die Kräfte der eigenen Kultur, sondern stärkt sie vielmehr. Und gleichzeitig wird ein gemeinsames Prinzip neu entdeckt, das die verschiedenen Kulturen miteinander verknüpft. Das ist Einheit in der Vielfalt. WeltpoesieWir haben im Schiller-Institut auch schon erprobt, welches das beste Medium für den Dialog der Kulturen ist: die Dichtung! "Weltpoesie allein ist Weltversöhnung" war das Lebensmotto des begnadeten Übersetzers und Dichters Friedrich Rückert (1788-1866), und es war auch der Titel eines Rückert-Programms, womit der Poesiekreis im Schiller-Institut, die "Dichterpflänzchen" im Herbst 2001 an die Öffentlichkeit traten. Rückert beherrschte 40 Sprachen, darunter Persisch, Arabisch, Chinesisch und Sanskrit. Und er fand, die Poesie sei die "Muttersprache des Menschengeschlechts", weil Poesie dem schöpferischen Denken, dessen Prinzip ja bei allen Völkern und Menschen gleich ist, am nächsten kommt. Die innere Sprache des Denkens zeichnet den Menschen unter allen anderen Lebewesen aus. Ganz gleich, welche unterschiedlichen Sprachen die Menschen sprechen, wenn sie in diesen verschiedenen Sprachen schöpferische Ideen in einer bestimmten Form kommunizierbar machen, dann sprechen sie zugleich die "Muttersprache des Menschengeschlechts", sie dichten. Auch das ist Einheit in der Vielfalt. Die "Muttersprache des Menschengeschlechts" in der Dichtung anderer Kulturen und in der eigenen zu entdecken, macht Freude. Und dieser Freude wegen eignet sich die Weltpoesie so gut für den Dialog der Kulturen. Der Reiz des Fremden, der Vielfalt, trifft sich hier mit dem vereinenden Gedanken an das Schöpferische, das wiederum Gott, Universum und den Menschen verknüpft. Wer diese Ideen in der eigenen Kultur liebt, liebt sie erst recht in der Dichtung anderer Völker. Nicht zufällig waren die klassischen deutschen Dichter, unterstützt durch Sprachforscher und große Übersetzer, so ungemein offen für ferne Kulturen. Wie viele Gedanken, aber auch poetische Formen und Motive gingen dadurch in die deutsche Dichtung über! Ja, man kann sagen, die deutsche Klassik selbst ist ein großer kultureller Dialog. Dafür gibt es Beispiele ohne Zahl: Lessings Nathan mit der berühmten Ringparabel über die drei großen Religionen Judentum, Christentum und Islam , Goethes Dialog mit dem persischen Dichter Hafis im Westöstlichen Divan, Schillers Turandot (die auf ein persisches Märchen über eine chinesische Prinzessin zurückgeht) oder Heines Gedicht über den persischen Dichter Firdausi und viele tausend mehr. Der Dialog der Kulturen wird sich auf die deutsche Kultur in mehrfacher Hinsicht segensreich auswirken. Viele Deutsche kennen ja die wunderbare Dichtung in ihrer Muttersprache gar nicht mehr, sie sind davon abgeschnitten. Vielleicht lernt so mancher nun im Zuge des Dialogs der Kulturen die Schönheit der Dichtung, der "Muttersprache des Menschengeschlechts", durch Beschäftigung mit fremder Weltpoesie kennen und findet auf diesem Weg wieder Zugang zu den deutschen Dichtern, die an diesen fremden Kulturen dasselbe liebten wie er oder sie heute.
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Experiment geglückt!Klassische türkisch-deutsche Poesie in Wiesbaden |
Dichterfestival |
Einladungzur Teilnahme an einer internationalen Korrespondenz über einen "Dialog der Kulturen" im Sinne des Nikolaus von KuesVon Helga Zepp-LaRouche, Vorsitzende des Schiller-Instituts
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